Passionszeit 2023

Passionsandachten finden in den Gemeinden der ACK-Lüneburg statt.

Morgenandacht im Deutschlandfunk 16.03.2023 - 06:35 - Handeln im Leiden
Passionszeit ist Fastenzeit. Für viele jedenfalls. Und Fasten geht mittlerweile vielfältig. Manche verzichten sieben Wochen auf Fleisch oder Alkohol, auf Süßigkeiten, Kaffee oder Fernsehen. Ein Freund von mir meinte neulich scherzhaft, er verzichte auf Brokkoli. Immer mehr Menschen verzichten – ganz unabhängig von der christlichen Fastenzeit - auf etwas anderes: Sie verzichten auf Nachrichten. Sie schalten einfach nicht mehr ein. Sie schalten ganz bewusst ab. Sie sehen oder hören weg, wenn Nachrichten kommen: im Fernsehen, auf Social Media-Kanälen oder in der guten alten gedruckten Zeitung. Ich halte die ganzen schlimmen Nachrichten nicht mehr aus – heißt es dann oder: Man kann  eh nichts daran ändern!

Ich kann das nachvollziehen und ganz ehrlich: Ich habe das auch schon ein paar Mal gemacht: In der Corona-Zeit fing es an, als ich meine Tage nicht mehr mit den Zahlen von Infizierten, Toten und Genesenen beschließen mochte, weil ich immer schlechter schlief. Auch als der Krieg in der Ukraine begonnen und ich wochenlang sehr intensiv die Nachrichten verfolgt hatte, kam ich an einen Punkt, wo ich dachte: Es belastet mich zu sehr. Die vielen schrecklichen Bilder, die mich in den Schlaf verfolgen. Die depressive Stimmung. Ich muss auch für mich selber sorgen. Ich brauche die Kraft für meinen Alltag.
Und trotzdem Die Kriegsnachrichten zehren zu sehr am Gemüt, und ob ich die aktuellen Meldungen verfolge oder nicht, ändert nichts an der Lage. Ich habe ein paar Tage Pause gemacht. Danach ging es besser. Das alles war noch vor dem schrecklichen Erdbeben in der Türkei und in Syrien. Viele von uns denken jetzt: Was zu viel ist, ist zu viel.
Und trotzdem: Fasten bedeutet ursprünglich etwas anderes. Es meint nicht, dass wir das Schlimme ausblenden uns ihm entziehen und wegducken, sondern das genaue Gegenteil:
Jesus fastet vierzig Tage in der Wüste und setzt sich dabei allem aus, was kaum zu ertragen ist: grausame Hitze am Tag und schreckliche Kälte in der Nacht, Hunger und Durst, Einsamkeit.
Vor allem aber setzt er sich seinen eigenen Gedanken aus. Alles, was ihn beschäftigt, alle Fragen, alle Ängste – alles kommt hier an die Oberfläche. Jesus ringt mit sich und seinem Auftrag. Er ringt mit dem Teufel selber – so erzählt es die biblische Geschichte. Am Ende kehrt er verändert zurück: Er weiß nun, wer er ist und was er zu tun hat.
Fasten bedeutet, sich dem Leiden auszusetzen. In einer anderen biblischen Gestalt wird das auf extreme Weise deutlich: In ihr bekommt das Leiden, das unzähligen Menschen grausam und unschuldig widerfährt, ein Gesicht und einen Namen: Hiob. Hiob verliert von einem alles, was er hat und was ihm etwas bedeutet: seinen Wohlstand Reichtum, seine Gesundheit, sein Haus, und seine Familie. Das einzige, was ihm bleibt, sind seine Freunde. Die kommen und sehen ihn da sitzen, krank und verzweifelt. Sein Anblick ist kaum auszuhalten. Sie sehen trotzdem hin. Mehr tun sie nicht zunächst.

Da heißt es in der Geschichte: Sie saßen mit ihm auf der Erde sieben Tage und sieben Nächte und redeten nichts mit ihm; denn sie sahen, dass der Schmerz sehr groß war. Eigentlich tun sie nichts. Und dennoch tun sie das, was die verstorbene Theologin Dorothee Sölle Handeln im Leiden nennt. Sie schreibt:
„Das Leiden macht empfindlicher für den Schmerz in der Welt. Es kann uns lehren, eine bessere Liebe aufzubringen für alles, was ist. Wir handeln im Leiden. Wir nehmen wahr. Wir drücken uns aus.“

Es stimmt nicht, dass wir nichts machen, wenn wir uns dem Leiden aussetzen. Auch den Nachrichten vom Leiden anderer. Wir sollten es nicht unbegrenzt tun. Aber wir sollten uns dem auch nicht komplett entziehen. Erst dann machen wir tatsächlich nichts:

wenn wir alles ausblenden und so tun, als gäbe es das Leid der anderen nicht. Dann lassen wir Hiob sitzen in seinem Elend und kündigen unseren Mitmenschen die Freundschaft.

Denn das sind sie ja – auch in der fernen Türkei oder in der Ukraine oder in der Nachbarschaft. Unsere Mitmenschen. Wir können auf vieles verzichten, doch nicht auf Mitmenschlichkeit.
 
Literaturangaben: Dorothee Sölle, Handeln im Leiden. Zit aus: Andere Zeiten e.V. (Hrsg., Vom Anfang im Ende. Ein Trostbuch für Tage in Moll, S.30)  
SENDUNG MIT Pfarrerin Barbara Manterfeld-Wormit Glaube ist keine Privatsache: Er will gestalten und verändern, bewahren und trösten, heilen und verbinden. Das tun wir im Rundfunk. Dazu trage ich als rbb-Senderbeauftragte gerne bei und liebe dabei die Vielfalt im Programm der Kirchen. E-Mail: b.manterfeld-wormit@ekbo.de

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